Ansatz zum Nachweis der Gründungzahlen in Ostwolhynien
Als Antwort auf: Wer kann widersprechen? von Waldemar Wolff am 17. Juli 2003 22:57:43:
Lt. PINGOUD steht in den statistischen Ausführungen aus dem Jahr 1909 zu den Gründungszahlen folgendes geschrieben:
Im Flecken Koretz im Kreise Nowograd-Wolynsk bestand seit etwa 1783 eine eigene Pfarre, die der Besitzer dieses Landes, Fürst Czartoryski, für seine lutherischen Beamten und Handwerker einrichtete. Diese Pfarre ging nach einem Kirchenbrand um 1820 ein.
Die zwei ältesten Kolonien im Kirchspiel Shitomir (gegr. 1801) gehen auf das Jahr 1816 zurück, als ein Gutsbesitzer Kolonisten aus Preußen sein Land verpachtete. So entstanden Annette und Josephine bei Nowograd-Wolynsk. Aus diesen gingen in den nachfolgenden Jahren eine Vielzahl von Tochterkolonien hervor.
Im Jahre 1838 zählte man in Wolhynien 1.200 und im Jahre 1859 (so wie Jerry bereits schrieb) 5.825 Deutsche und 45 deutsche Kolonien.
Die hauptsächlichen Quellen von Pingoud sind die Unterlagen der eigenen Unterstützungskasse. So ist bei BUSCH aus dem Jahre 1862 nachzulesen:
Laut dem Vorwort beziehen sich seine Angaben hauptsächlich auf die Jahre 1855-1861. Die 25 vom Autor genannten Quellen gehen teilweise bis auf das Jahr 1826 (Ostsee-Provinzen) zurück. In der Einleitung zum Konsistorialbezirk St.Petersburg (hier gehörte auch das Gouvernement Wolhynien dazu - neben der Stadt St.Petersburg, Nowgorod, Smolensk, Tschernigow, Podolien, Kiew, Taurien, Bessarabien u.v.a.m. ) sind sehr aufschlußreich:
Der Bezirk des St.Petersburgischen Konsistorium hatte 19.091.840 Einwohner auf einer Fläche von mehr als 50.549 Quadratmeilen. In 75 Kirchspielen mit 95 Predigern leben hier 244.885 Ev. Luth. Glaubensgenossen. In 205 Ev. Luth. Schulen werden 19.077 Schüler mit Ev. Konfession von 372 Lehrern und 35 Lehrerinnen unterrichtet. Im Jahre 1859 wurden in den Ev. Luth. Gemeinden dieses Bezirkes 2.519 Ehen geschlossen. Geboren wurden 5.949 Knaben und 5.436 Mädchen. Die Sterbezahl lag bei 8.902 Personen im selben Jahr. Im Jahre 1961 wurden 5.112 Jünglinge und Jungfrauen konfirmiert.
Beim Kirchspiel Kiew sind drei Ortschaften mit evangelischen Einwohnern aus dem Kreis Radomysl genannt, die ab 1901 zum Kirchspiel Radomysl gehörten. [Somit wären die ersten drei Siedlungen östlich von Nowograd-Wolynsk und vor dem Jahr 1862 gefunden] Die oben zitierten 45 deutschen Kolonien bei PINGOUD sind identisch mit den aufgelisteten Ortschaften bei BUSCH. 1862 nennt BUSCH für das Kirchspiel Shitomir 32 [davon liegen 10 Ortschaften weniger als 64 Werst von Shitomir entfernt - also in Ostwolhynien] und für das Kirchspiel Roschischtschi 13 Ortschaften. Gründungszahlen sind keine zu finden, aber folgende statistische Angaben zum Gouvernement Wolhynien:
Das Gouvernement Wolhynien mit 1.287 Quadratmeilen und 1.527.450 Bewohnern zählt unter diesen: 9.000 Russen, 1.150.000 Klein-Russen, 10.000 Weiß-Russen, 165.000 Polen, 5.000 Deutsche, 188.000 Juden (Talmudisten), 300 Karaimen und 150 Zigeuner.
Außer den Gliedern der Orthodox-Griechischen und der Ev. Luth. Kirche und den oben angeführten Juden finden sich hier noch 172.264 Röm. Katholiken und 239.000 Muhamedaner.
In der Ev. Luth. Gemeinde wurden im Jahre 1859 getraut: 74 Paare. Geboren wurden 65 Knaben, 86 Mädchen = 151 Kinder. Es starben 16 Personen männlichen Geschlechts und 17 Personen weiblichen Geschlechts = 33 Personen.
Konkrete Gründungszahlen zu finden, ist etwas schwer, da die Einwohner vieler Ortschaften in den Gründungsjahren aus den verschiedensten Gründen keine Angaben machten und somit nicht erfaßt wurden. (Vergleich mit KUHN - siehe unten)
Bei PAPMEHL sind nachfolgende Zahlen aus der Region Wolhynien und Umgebung genannt:
1767 Kirchspiel Belowesh, Gouv. Tschernigow
1782 Kirchspiel Nemirow, Gouv. Podolien
1801 Kirchspiel Shitomir, Gouv. Wolynien
1809 Kirchspiel Poltawa
1815 Kirchspiel Tarutino, Gebiet Bessarabien
1819 Kirchspiel Arcis, Gebiet Bessarabien
1822 Kirchspiel Sarata, Gebiet Bessarabien
1837 Kirchspiel Kischinew, Gebiet Bessarabien
1842 Kirchspiel Klöstiz (Kliastiz), Gebiet Bessarabien
1842 Kirchspiel Fere-Champenoise, Gebiet Bessarabien
1863 Kirchspiel Krementschug, Gouv. Poltawa
1863 Kirchspiel Roshistsche, Gouv. Wolynien
1864 Kirchspiel Dunajewzy und Kamenez-Podolsk, Gouv. Podolien
1868 Kirchspiel Heimtal, Gouv Wolynien
Zu der Problematik "Erfassung der Kolonien" und "Gründungsjahre" sei an dieser Stelle kurz KUHN zitiert:
"In der Einwanderungszeit dauerte es vielfach einige Jahre, bis eine neue Rodung einen eigenen Namen erhalten und dieser sich eingebürgert hatte. Bis dahin wurde die Kolonie nach dem benachbarten Ukrainerdorf oder nach dem Gut, von dem sie abgezweigt worden war, benannt. So hieß Walentinow (westl. Lutzk) früher Kolonie Usiczy, Huszcza (östl. Lutzk) Neu-Kiwerce. Oftmals legte ein Edelmann gleichzeitig mehrere Siedlungen an, dann konnten sie in ihrer Gesamtheit mit dem Namen des Gutes bezeichnet werden. Wenn später auch die Einzelnamen Geltung gewannen, blieb daneben auch der alte Gruppenname erhalten oder sogar vorherrschend. So werden noch heute die beiden um 1840 angelegten Klonien Stanislawowka und Cycelowka (westl. Rozyszcze) meist zusammen Berezolupy ("Breslup") genannt, die drei nach 1880 entstandenen Siedlungen Natalin, Olgin und Jadwigin im Süden des Kirchspiels Lutzk "Kolodez"... "
Und zur Zuverlässigkeit der Angaben in den Kirchbüchern - somit gleichbedeutend den Angaben in der Odessa-Datenbank - schreibt KUHN folgendes Beispiel:
So starb z.B. in dem Bugholländerdorfe Jozefin 1869 ein 62-jähriger Mann, namens Rosihn, von dem im Totenbuche angegeben ist, daß er schon in Jozefon selbst geboren sei, das danach schon 1807 bestanden haben müßte. Nun besitzen wir aber gerade von diesem Dorfe eine Urkunde, nach der die Bugholländer erst 1836 nach Jozefin kamen.
[Fazit]
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gab es bereits vor dem Jahr 1862 deutsche Siedlungen östlich von Nowograd-Wolynsk. Den genauen Nachweis muß unsere Forschung noch in den nächsten Jahren erbringen, ein Ansatz ist hier zu lesen.
Gerhard
Quellen:
* G. PINGOUD "Die ev.-luth. Gemeinden in Rußland" Band 1, St.Petersburg 1909
* E.H. BUSCH "Materialien zur Geschichte und Statistik des Kirchen- und Schulwesens der Ev.-Luth. Gemeinden in Rußland", St.Petersburg 1862
* E. PAPMEHL "Die Wirksamkeit der Unterstützungskasse für Ev.-Luth. Gemeinden in Russland während der ersten 25 Jahre ihres Bestandes 1859 - 1883", St.Petersburg 1884
* W. KUHN "Die Kirchenbücher als Geschichtsquelle des Wolhyniendeutschtums", Deutsche Monatshefte in Polen, 1936/37, S. 395 - 432
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- Wer kann widersprechen? -
Waldemar Wolff,
17.07.2003, 22:57
- Re: Wer kann widersprechen? -
Gerhard König,
19.07.2003, 15:29
- Re: Wer kann widersprechen? -
Waldemar Wolff,
16.08.2003, 16:39
- Re: Wer kann widersprechen? -
Gerhard König,
16.08.2003, 22:17
- Re: Wer kann widersprechen? -
Waldemar Wolff,
18.08.2003, 15:43
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18.08.2003, 20:20
- Re: Fragliche Einwohnerzahlen - Waldemar Wolff, 21.08.2003, 00:23
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- Re: Fragliche Einwohnerzahlen -
Irene Kopetzke,
18.08.2003, 20:20
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Waldemar Wolff,
18.08.2003, 15:43
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- Re: Wer kann widersprechen? - Jerry Frank †, 19.07.2003, 18:04
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